Mein Name ist Holger Karsch. Ich arbeite als technischer Autor. Präziser formuliert, schreibe ich Handbücher über Software. Mein Spezialgebiet sind Texte über Betriebssysteme. Insbesondere habe ich mich auf Unixoide spezialisiert. Zwar ist die große Zeit des Waldrodens für derartige Schwachsinnsprosa vorbei, aber bisweilen landet man ja einen Coup, und das eigene Werk wird zum Hit. Mein Glück: Vor gut 20 Jahren habe ich so etwas wie einen Klassiker verfaßt. Das «Handbuch für Systemadministratoren» ist mittlerweile in der 34. Auflage erschienen. Es ist das einzige Buch seiner Art, das über dieses Metier in deutscher Sprache und in diesem Umfang und mit allumfassenden Ansatz geschrieben wurde und sich Jahr für Jahr aktualisiert – entgegen dem Trend zur Online-Lektüre. Es versteht sich von selbst, dass es hinsichtlich der Seitenzahl mit jeder neuen Edition wächst, und in Fachkreisen ist es längst ein Muss. Es steht in den Regalen der Universitätsrechenzentren, ebenso wie es auf den Schreibtischen der Fachabteilungen in sämtlichen Unternehmen und Verwaltungen liegt. Es hat die Zeit von 10base-T, 9600er-Modemen und von Baudraten und Abkürzungen wie «EDV» überstanden und besitzt, das ist der eigentliche Hit, ein Schlusskapitel, das spekuliert, und eines, in dem abgeglichen wird, was in all den Jahren von den Spekulationen zuvor Realität wurde. Und ich denke, dass genau dieser Abschnitt den Reiz ausmacht. Denn die jungen Leser können aus den Phantastereien, ihren Widerlegungen und Bestätigungen lernen, während die alten sich nostalgisch die Schenkel klopfen und so tun, als ob sie Kriegsveteranen seien.
Ein weiteres Gimmick habe ich mir damals, also von Beginn an, von einer amerikanischen Kollegin abgeschaut. Sie bringt stets Anmerkungen zum psychosozialen Status gewisser Bereiche ihrer Arbeit in den Text ein, meist in grauen Kästen. Etwa Schnipsel zum Thema Social Engineering. Das ist mehr oder weniger die Doktor-Sommer-Abteilung oder der Domian-Part des ganzen Unternehmens. Dort holt sich der gebeutelte Systemboss Trost und findet Bestätigung in den Anekdötchen, die sowohl die Kollegin als auch ich über die Jahre gesammelt haben. Ach ja, und immer wieder lasse ich Zitate aus dem «Bastard Operator of Hell» einfließen. Ich gebe dieses Kopistentum offen zu. Warum auch nicht. Copia heißt Fülle. Dass ich ferner Solaris, FreeBSD, NetBSD, OpenBSD sowie diesen Apple-Flickenteppich und vor allem Linux beschreibe, ist zwar eine weitere Ähnlichkeit, aber im Unterschied zum Werk meiner geschätzten Kollegin existiert mein Projekt immer noch, während ihres gegen Ende der 1990er-Jahre eingestellt wurde. Und ich gestehe weiter, dass ich selbstredend ein ziemlicher nerdiger Depp bin.
Die Zeiten meines Early Adopting auf Risiko sind jedoch vorbei; mittlerweile vermag ich außerdem von den ganzen Einkünften wirklich und würdig zu leben. In meinem Job musste ich ja notgedrungen eine Reihe von Markt-Crashes überleben, was mich mehr als nur einmal an den Rand des Bankrotts und gelegentlich zum Arbeitsamt geführt hat. Naturgemäß habe ich selbst als Admin gearbeitet. Das liegt lange zurück. Damals betreute ich jedoch diese Apfel-Bonbonmaschinen der pixelschubsenden Grafiker. Da gab es wenig, was mit den späteren Erfahrungen gemein hatte, sieht man von Netzwerkproblemen ab. Wenn ich mich an dieses kranke HFS-Dateisystem erinnere und an diese DAU in den Agenturen, die sich regelmäßig durch irgendeine Schieberei von Treibern oder Kontrollfeldern ihre Systeme zerschossen und dann jammernd ankamen – Herrschaftszeiten, was war das ein Blödsinn! Noch heute könnte ich mich aufregen. «Holger, mein Eudora geht nicht mehr. Kannst Du bitte sofort, aber echt pronto, vorbeischauen?»
Diese Systeme bis 9 einschließlich waren das Hinterletzte. Kein preemptives Multitasking, kein effizienter Speicherschutz, keine Journalfunktion im Dateisystem, und so könnte man munter fortfahren. Und die Erstauflage von OS X konnte man produktiv überhaupt nicht nutzen, obschon das den Meilenstein des Umstiegs auf Unix markierte. Heute frage ich mich, wie man so etwas gegen Geld auf die Bevölkerung loslassen konnte, aber auch nur so lange, bis ich mal wieder wie jüngst ein frisches Windows, nun in der elften Auflage, installieren muss. Wenn ich dann schaue, was diese Firmen machen, um Kunden zu Sklaven zu degradieren, dann frage ich mich nichts mehr und halte den Mund. Es war in jedem Fall kein Spaß damals, und auch heute sind Ärger, Schmach, Lüge und rausgeschmissenes Geld nach wie vor systemimmanente Erfolgsfaktoren.
Aber noch zu System 9. Gerade fällt mir ein Fall ein, der ganz deutlich beschrieb, dass dieses System vom grundlegenden Layout an einfach nur Murks war. Kommt ein Kunde zu mir und brachte seine ausgebaute HD mit. Er sagte, nichts ginge mehr, alles fortgespült. Was hatte er unternommen, um ans Äußerste zu kommen? Apple stellte für seine hauseigene Bürosuite AppleWorks ein Update bereit. Er installierte, doch die Software wurde aus ihm unerfindlichen Gründen nicht angenommen. Es stimmten jedoch die Versionen, die Requirements – schlichtweg alles. Verständlicherweise wollte der Kollege sich nicht mit der deprimierenden Fehlermeldung abfinden, also wiederholte er den Vorgang so lange, bis das Dateisystem komplett zerschossen war, und die Platte erlitt bei dem Vorgang überdies noch einen physikalischen Schaden. Müßig zu fragen, wer was ausgelöst hat, und nicht nur das Fehlen eines Journals führte zum Garaus des Dateisystems. Verlust Nummer eins. Der Festplattencrash dann vielleicht Zufall, und ich musste Kollegen von der Hardcore-Forensik einbeziehen, was den Spaß auf einen Kurs von gut 1000 Mark brachte. Oder wenn ich an die leidige TCP/IP-Implementierung denke… Große Freuden, an die wir uns erinnern. Aber lassen wir’s gut sein.