Es geschieht mal wieder einfach so. Kampmann checkt die Lage und kurvt sich den Berg gen Volterra hoch. Die Fascisti Rotolanti hinterher. Die schaffen zwar kein Plus-Fuffzig-Grad, und man hat schon den einen oder anderen an den Rasten funkensprühend mit zu viel Ehrgeiz ins Grün sprotzen sehen. Sehr witzig und putzig, wie sie im Kammschen Kreis nun nicht gerade das heldenhafteste Diagramm ablieferten. Die MT, wow denkt Kampmann, ist doch der Hammer. Zusammen mit den Bridgestone und den auf Sport, also D-Mode 1, abgestimmten Parametern von Fahrwerk und Motor schnurrt die von Kampmann liebevoll Marie-Thérèse getaufte Yamaha wie auf Schienen und mit einer dennoch brachialen Gewalt über diese herrliche Straße, die ihn wie im Flug aufwärts nach Volterra führt. Plötzlich sieht er vor sich einen Oldtimer. Eine waschechte Honda Super Hawk, Baujahr 1966. Das kann nur einer sein, denkt Kampmann. Er bremst ab, öffnet das Visier seines Arai und deutet dem Fahrer an, an den Rand zu fahren. Der lässt sich nicht lange nötigen. Der Schulterblick zeigt, dass Kampmann die Faschos weit hinter sich weiß. Er kann das riskieren und begrüßt Bobby Pirsig und seinen Sohn Chris mit herzlicher Umarmung. Ein absolut abgefahrener Zufall, ihn hier zu treffen, oder vielleicht auch nicht, denn die Amerikaner fahren gern in die Toskana, um Urlaub zu machen. Und da die Pirsigs eine Menge draufhaben, wenig Gepäck brauchen und schrauben können, trauen die sich was.
«Sensationell, dass ich Dich hier treffe, Bob! Chris, schön, Dich endlich mal wieder zu sehen. Wie geht’s Euch?» Ein bisschen befremdet und distanziert fordert Chris ihn auf: «Abgesehen davon, dass Du mal wie Bohl, mal wie Reuss aussiehst: Schau mal den Berg hinauf.» Und da sieht er sie schon bergab auf sie zukommen: Es müssen an die dreißig Bikes sein. Es hört sich jetzt an wie der Start eines MotoGP-Laufs. Die Kisten sind so ziemlich alle feuerrot. Die Piloten sind so ziemlich alle in feuerrotes Leder gekleidet, und ihre Köpfe verbergen sich in feuerroten Helmen. Je näher sie kommen, desto mehr Details sieht man. Da ist schwarz ein H zu lesen und ein A daneben. Während Kampmann, aus welcher Dimension auch immer, Büttners Stimme hört, die ihm befiehlt: «Kopf zumachen, Fliegen kommen», staunen die drei weiter; Bob und Kampmann schieben aber ihre Bikes erst einmal an den Straßenrand. Man sieht, wie sie in die Kurven gehen. Das ist bei dem Gefälle ein faszinierendes Schauspiel. Chris schreit: «Die müssen über sechzig Grad Schräglage haben!» Also absolute Superprofis. Und dann kommen sie an den Punkt der Begegnung, und das Wesen an der Spitze lacht durch den Helm, zeigt den Daumen hoch und geht ins Hanging-off. Als der Trupp vorbei ist, meint Chris, dass es ihm nicht ganz wohl sei. Bob ergeht sich in eine Anrufung Sigmund Fs. Und Kampmann packt sich an den Schädel, seufzt und gedenkt Princess Margaret, einer der Lieben seines Lebens. Und er erinnert sich an all die Nächte in Paris mit Bebop, Bier und Büttner, und na klar, sie war die tollkühnste Motorradfahrerin aller Zeiten.
Sie nimmt es mit jedem auf. Sie ist der Hit, sie ist großartig, und sie fährt gerade in voller Schräglage auf diese Gaga-Nazis, die auf ihren Poser-Kisten nur noch glotzen können, zu. Und hinter ihr die anderen roten Blitze. Es ist ein wahnwitziges Schauspiel, und die Bühne ist der Asphalt. Die schwarzen, überschweren Zweiräder können nicht so schnell wenden. Die Roten ziehen, woher auch immer, Schwerter. Und schon rollen Köpfe. Das hat er ja so nicht gewollt, und nicht zuletzt aufgrund dieser seltsamen Begegnung mit Bob und Chris hier in der Toskana wird Kampmann extrem melancholisch zumute, und ein schlechtes Gewissen ergreift ihn stellvertretend für Margaret. Was für ein Gemetzel. Vladimir Petinkovic, Marina Stift, Victor Hörben, Hector Schabe, Hermann Geringer, Benito Chocque weilen nicht mehr unter den Lebenden. [Fortsetzung folgt vielleicht]
Soundtrack: The Wolfgang Press, Standing Up Straight, 4AD, CAD 606, Aug. 1986