Mittlerweile gab im Grand Hotel Europa die neoliberale Plutokraten-Mischpoke den Takt vor. Sie hatten sich an den Ein- und Ausgängen postiert und blafften jeden und jede, der ihren Weg kreuzte, an.
Legt die Welt in Trümmern, war ihr Credo.
Den Dudes ging das entschieden zu weit. Sie wussten, dass Europas Existenzrecht darin lag, Frieden auf dem Kontinent zu stiften, die Koexistenz der Völker zu gewährleisten und Brücken zu den alten Kulturen Russlands, Chinas, Indiens, den Afrikanischen und den Lateinamerikanischen Völkern zu bauen und zu erhalten. Die Kriegsgeilheit der Atlantiker und Nationalisten, wie die Endzeitstimmung der Green Deal Kapitalisten und Klima-Apokalyptikern, ging ihnen gehörig auf den Keks.
Die Muppets boten den Dudes den großen Theatersaal im Hotel Happiness als Konferenzzone an, damit sie in aller Ruhe und in Abgeschiedenheit das Eigentliche besprechen konnten.
Damit es nicht zum Endspiel kommt
Die Dudes luden Ulrike (nicht die RAF Ulrike) und Hauke ein, aus ihrem Buch ein Zitat für die Diskussion zu spendieren. Dem entsprachen die genannten von Herzen.
Subsidiarität, Kultur und Diversität. Solidarität, Regionen und Bürger. Autonomie, Genossenschaft und Gemeinwohl. Laizismus und Glaube. Rebellion und Revolution. Einheit, Föderation und Republik. Ästhetik und Vernunft. Gemeinschaft. Frieden, Freiheit und Gleichheit. Das sind die europäischen Werte, die Laurent Gaudé in seinem L’Europe, Banquet des Peuples eindrucksvoll beschreibt.
Ulrike Guérot, Hauke Ritz, Endspiel Europa, Westend Verlag, 2022
Europa ist – nur kursorisch – die Überwindung der Guillotine, nicht der Todesstrafe; es ist die Mutter der Aufklärung und nicht der Sprechverbote.
Europa ist die Erfindung der Republik von Platon bis Kant. In Europa wurden 1789 aus Untertanen Bürger und politische Subjekte, Europa ist antifeudal und keine Plutokratie.
Europa ist das Land der kleinen Leute, der ältesten Weinreben der Welt, der regionalen Biere und der Gitanes, des seufzenden Akkordeons und der Orgel, von Warschau bis Messina. Es ist Pasolini, nicht Hollywood.
Europa ist Solidarnosé, nicht das »Jawoll« der Gestapo. Europa ist nicht Brzezinskis Schachbrett, es ist kein geostrategischer Akteur, aber auch kein Territorium für die geostrategischen Gelüste anderer.
Fast jeder in Europa hat einen Vorfahren aus einem anderen Land und fast jede europäische Familie eine Kriegs- oder Flüchtlingsgeschichte zu erzählen.
Europa ist Revolte, ja, Mutter der Revolution von Paris bis Petersburg egalitär, nicht bourgeois. Europa ist Rebellion gegen soziale Missstände und kein Anhimmeln von »Rockefeller-Karrieren«.
Europa, das sind Bauernaufstände gegen den Adel und es ist seine höfische Kultur, der Kontinent der klassischen Musik, das Land der romanischen Kirchen und der Kathedralen von Barcelona über Mailand bis Köln.
Europa, das ist Malerei von Leonardo da Vinci bis Picasso.
Europa, das ist freie Rede von Voltaire bis Rosa Luxemburg.
Jeder, der zwischen Dublin und Athen in Europa aufgewachsen ist, egal wo, weiß, was Europa ist, hat die Einheit in Vielfalt eingeatmet und das europäische Babel genossen.
Jeder, der in Kiew, St. Petersburg oder Moskau ist, weiß, dass er in Europa ist, denn kein Europa ohne Dostojewski, das Bolschoi-Theater oder Tschechow.
Europa ist inmitten eines Kulturbruches und die Frage ist, ob das amerikanisierte Europa heute überhaupt noch in der Lage wäre, europäische Künstler-, Film und Sänger-Ikonen wie Wim Wenders, Pier Paolo Pasolini, Claude Chabrol, Edith Piaf, Jacques Brel oder Josef Beuys hervorzubringen. Sie sind Relikte eines kulturellen Europas, das sich verloren hat.
Das Zitat verbreiteten die Dudes sogleich in unendlichen Permutationen via PILZ. Und sie verpflichteten alle, wirklich alle, fortan Europa als den zum Frieden stiften verdammten Kontinent zu verstehen. Würde das nicht gelingen, so mahnten die Dudes, dann sähe es wirklich düster um die Zukunft der Welt aus.
Campaigns Ink! bekam den Auftrag, alle, wirklich alle Medien mit den Permutationen zu fluten.
Die paar wenigen Dudes, die ihre Webseiten und Social Media Kanäle mit der ukrainischen Flagge verziert hatten, tauschten beschämt, weil sie der Kriegspropaganda der Medienkonzerne aufgesessen waren, diese sogleich mit der Karte Europa Regina aus dem Jahr 1537 aus, denn sie verstanden, dass der Frieden der Völker nicht mit Nationalismus vereinbar war.
Intermezzo
Rudi Dutschke reckte aus seinem Grab heraus die Faust und rief, zur Freude aller, „Enteignet Springer, enteignet alle Medienkonzerne!“
Friede den Hütten
In Bad Regina wurde es derweil Abend. Die Menschen kehrten in ihre Häuser zurück und setzten sich im Kreis der Liebsten an den Tisch, um gemeinsam zu speisen. Die Türen standen stets offen. Gäste waren immer willkommen.
Den Neoliberalen Apokalyptikern und Schreihälsen, Nazis und Nationalisten, wurde es zu bunt. Mit einem Fakelmarsch zogen sie aus dem Grand Hotel Europa aus und verschwanden auf der dunklen Seite des Mondes.
Spoundtrack: Einstürzende Neubauten, Prolog, Haus der Lüge, Some Bizzare, 1989