«Wake up, you sleepy head. We’re waiting to go.» Säuselte es an seinem Ohr. Er blickte auf, kratzte sich die Stirn, das Ohr, strich sich durch die Haare und stellte fest, dass er wohl sehr tief geschlafen haben musste. «Was habe ich denn gestern eingeworfen?», fragte er sich. Nichts natürlich. Seit er entzogen hatte, war es vorbei mit dem Rausch. Immerhin schon drei Jahre und drei Monate war das her. Daher wunderte es ihn ständig, dass immer wieder neue, anders gestaltete Wirklichkeitssprünge verhinderten, dass er in einem kontinuierlichen Raum-Zeit-Gefüge heimisch wurde und sich wie jedes andere normale Wesen einrichten konnte. Wenn er es sich recht überlegte, sollte er bereits hinterfragen, ob und in welchem Bett und in welchem Ort, zu welcher Zeit er jetzt erwacht war. Denn nichts schien sicher zu sein. Und nichts war sicher. Er musste noch an den Lieben Gott denken, an die Badewanne und seinen Zustand als Gummiente. Jeder nur halbwegs im Leben stehende Mensch würde ihn für verrückt erklärt haben. Klar, Büttner konnte er das alles anvertrauen. Und auch den Kolleginnen von QBTKK.
Über YPI hatte er kurz mit Q kommuniziert. Der hatte ihm erzählt, dass er endlich das Problem mit dem Nazipflanzer gelöst hatte. Er war einer Verschwörung auf die Spur gekommen. Im Taunus, in der Nähe von Espenschied, also mitten im hessischen Wudang, hatte ein Kommando, ausgesandt von Bröno Selfmachteger-Spretz, Fichten in Hakenkreuzform angesetzt. Dann ordentlich Wachstumsbeschleuniger drauf, und fertig war die Werbeeinheit, die dann schön aus der Luft zu sehen war. Und unsereins ging munter hindurch und musste damit klarkommen, dass er nichts sah. Qs entschiedener Eingriff schrieb den Wald wieder rein. Das klassische RDS-Prinzip. Denn wer schreibt, der bleibt! Und so hatte jeder einen Job. Nur Kampmann, der schlief wieder irgendwo, weil er im Zeitschaum in die falsche Blase geraten war. Wieder einmal lost in time and space.
Und den Büttner hatte er endlich wieder zumindest im Komminikationsportfolio von PILZ gefunden. Zwar war das Problem, dass sie alle nur sporadisch und ohne ihr Zutun zufällig in wechselnden Konstellationen zusammen kamen, nicht gelöst. Aber der Liebe Gott schien, was ja auch genug ist, Gefallen daran zu haben, Zeitschaumbad zu nutzen, um sich an dem Schillern und Schimmern der Blasen zu ergötzen, was aber zur Folge hatte, dass jede von QBTKK natürlich immer in den eigenen Blasen gefangen war und dann mal im Römischen Reich deutscher Nationen oder in Babylonien oder gleich auf einem der unzählbaren Exoplaneten irgendwo im Universum sein konnte, besser: musste. Das letzte Mal saßen sie alle im Orgon-Akkumulator, erinnerte sich Kampmann. Wie lange das her war? Er vermochte es nicht zu sagen. Der Job, den Zweiten Weltkrieg mit Zeitbomben zu verhindern, schien jedenfalls erledigt zu sein. Die damit einhergehende Trennung des Teams aber blieb. Keiner von den Freundinnen der Fährnis wusste den Grund dafür. Es schien das Prinzip einer wankelmütigen und nicht zu verstehenden Entität zu sein. Und die wiederum sang mit ihrer wundervollen Elfenstimme gerade: «Hey farmer, put away your DDT.»
Kampmann konnte immer noch wachwerden, also wenn er etwas konnte, dann das. Und sich fragen, wo alle seine Freunde denn wohl wären. Büttner hingegen hatte es zwischenzeitlich arg erwischt. Während er durch die USA mit seinen Kumpels reiste, Foucault und Co. natzte, Vorträge hielt und sich auf der Suche nach der universellen Sprache zwischen PILZ und WASTE und NOSE besonders seltenen Vokabeln widmete, erreichte ihn eine postalische Zustellung. Kampmann und Karsch hatten die «Laubsätzertage» endlich fertig gestellt und Büttner zukommen lassen. Der wollte eigentlich nur kurz einen Blick hineinwerfen, das machte er mit Fotobüchern immer so, außer mit denen, die er dann problemlos von hinten nach vorn durchschauen konnte, doch hier lag der Fall anders. Jetzt sah aus dem Buch heraus mit flehendem Blick, doch Kampmann war nicht zur Hand, da der, so mutmaßte Büttner, immer noch beim Lieben Gott in der Badewanne schwamm, als Gummiente im Zeitschaum. Laubsätzertage, das Buch verschlingt einen, dachte er sich. Kampmann hätte sich schuldig gefühlt, wenn er auch nur einen Buchstaben von dieser Story erzählt bekommen hätte. Das aber passierte nicht. Stattdessen wurde er wieder einmal nur wach und hörte die ätherische Stimme des Lieben Gotts, wie sie sang: «They paved paradise and put up a parking lot.» [Fortsetzung folgt vielleicht]
Soundtrack: Joni Mitchell, The Studio Albums 1968-1979, Warner Music – 8122797178, Reprise Records – 8122797178, Asylum Records – 8122797178, 2012; darin: Ladies of the Canyon (als 81227971783, ursprünglich 1970 erschienen)