Auszug

Mein Name ist Holger Karsch, und ich bin ein Spinner. Zumindest bin ich das in den Augen von einigen Nachbarn, die aber in der Regel sonst in keinem Verhältnis zu mir und meinen Leistungen, die ich durchaus zu bringen in der Lage bin, stehen. Wie gesagt, nicht alle halten mich für verrückt. Die Leute kommen in meinen Laden. Dann halten sie mich nicht mehr für verrückt. Das ist ein seltsames Quartier. Viele hier im Viertel sind zwar begütert. Doch sind es nicht die einzigen, die zu meinen Kunden zählen. Im Gegenteil. Die Leute machen sich auch aus ärmeren Vierteln auf den Weg, selbst wenn sie lange Wege gehen müssen. Es hat sich herumgesprochen, dass bei mir fast alles wieder heil werden kann. Das freut mich, und so sind die Regale, die im Dämmer meiner Werkstatt kaum wahrnehmbar sind, mehr als gut gefüllt. Überhaupt müssen viele Menschen heute sparen. Auch Bürger. Den meisten geht es nicht gut derzeit. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Ich spüre das immer wieder daran, dass mein Buch, in dem ich anschreibe, immer weniger leere Seiten aufweist. Die Lücke zwischen Arm und Reich wird stetig größer, und während wir uns schleichend daran gewöhnen, immer mehr immer schneller wegzuwerfen, wächst in mir die Empfindung, nicht mehr dazuzugehören. Das wiederum ist seltsam, da ich doch enorm davon profitiere, dass die Ärmeren zu mir kommen und sich ihr Zeug wieder und wieder reparieren lassen. Wohin steuert diese Gesellschaft? Viel Zeit habe ich, während meiner Stunden in der Werkstatt, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Die schlimmste Zeit, so dachte ich, sei vorbei. Doch dann kam wieder einmal alles anders. Wenn ich heute an die Dezennien denke, in denen ich nicht so zurückgezogen lebte, ist es mir, als habe das alles jemand anderes erlebt. Sicher, das war schon ich. Damals. Die Mädchen. Frühling. Ich glaubte, es bliebe immer so. Alles währte in dieser Zeit. In der welligen, grasig-weichen Landschaft gab es zwischen den Feldern keine Zäune, keine Grenzen. Schotterwege führten überall hin, nur nicht hinaus aus der Kultur. Allerdings brauchte man nur immer weiterzugehen, denn es war schön dort. Es begegneten einem Tiere auf Schritt und Tritt. Die Bauernhäuser wirkten improvisiert. Bruchstein, Bruchsteinmauern. Hell gefärbt mit kleinen Fenstern. Irgendetwas quietschte immer, wenn man an den Katen vorbei spazierte. Wie bin ich nur in diesen Keller geraten? Meine Eltern waren Landwirte in dieser im Sommer wie versteppt wirkenden Einöde aus Olivenhainen, kargen Schafweiden, Weinreben und Kohlbeeten. Sie hatten sich wie alle in den Dörfern nach den Regeln der Gemeinschaft gefunden. Dass es zumeist die Männer im einzigen Gasthof der jeweiligen Ortschaft waren, die mittels geschickter Heiratspolitik zwischen den Familien der Region um den Erhalt einer stabilen Sozialität bemüht waren, haben Mutter und Vater wohl geahnt, doch da sie sich liebten, brauchten sie diesen Sachverhalt nicht über Gebühr zu betonen oder hervorzustellen, wenn sie einmal gefragt wurden, wie sie zueinandergefunden hatten. Da war mein Name. Dort war mein Name. Kein Name. Ein Name.

Ende