Asphaltdampf

Er liebt das. Die ersten Meter. Noch ist die Karre nicht warm. Er atmet tief durch. Dann brüllt er sein Wohlbehagen in die Welt. Und fühlt sich wie Vale nach einem MotoGP-Sieg. Es geht durch die besiedelten Gebiete. Ende. Landwirtschaft. Weinbau. Und Kurven. Er fährt sie geschmeidig, keine Knieschleiferei, lässt die MT über die swingenden Landstraßen gleiten. Unter sich hört er das reißende Klingen des Dreizylinders. Und auch das Wetter könnte besser nicht sein. Das Leben könnte nicht besser sein. Dennoch ist ihm, als käme etwas Böses auf ihn zu. Eine Ahnung, eine Angst vielleicht. Ein ihm wohlgesonnener Mensch und Motorradfahrer sagte ihm einmal, dass es nicht zielführend sei, mit Angst auf den Boliden zu steigen. Dann passiere etwas. Kampmann verdrängt diese schweren Gedanken und konzentriert sich aufs Fahren.

Eine lange Gerade, an deren Ende es offenbar nicht weiter geht. Schon von Weitem riecht er den Teer. Dampfwolken signalisieren die Baustelle. Er schaltet Gang für Gang herunter und nutzt die Motorbremse, um am Ende zum Stehen zu kommen. Auf der SR439 ist nichts los. Die Ampel steht auf Rot, und Kampmann überlegt sich, ob er nicht Fünfe gerade sein lassen soll. Er stoppt, dreht den Zündschlüssel im Leerlauf nach links, und als der Motor verstummt, stellt er das Bike auf den Seitenständer. Dann steigt er ab. In der Lederkombi und mit den Stiefeln ist das Gehen ein wenig umständlich.

Er macht ein paar Kniebeugen. Niemand ist in Sicht. Kampmann blickt sich um und sieht nicht einmal Bauarbeiter. Das kleine Waldstück, durch das die Straße führt, wird ihm unheimlich. Dann hört er es hämmern. Es scheinen viele zu sein. «Hämmern» ist kein korrektes Bild. Er kennt die Motoren. Sie klingen hohl. Wenn man mit einem stoffumwickelten Wackerstein auf einen Eichenschrank, der hinter einer dünnen Schicht Schaumstoff verborgen ist, semikräftig eindrischt, erhält man in etwa den Sound. Na klar, 91 PS, 1800 Kubikzentimeter, nachtschwarz mit Verkleidung. Glänzend wie Schmeißfliegen. Die «Fascisti Rotolanti». Ihr Auftritt läuft wie immer nach demselben Schema ab: Wagner plärrt aus den Lautsprechern ihrer bayerischen Boxer-Böcke. Die Ausgeburt der hässlichen Eleganz. Er hätte es sich denken können. Hier, so kurz vor der Stadt der Anarchisten, frönen die Nazis ihrem deutschen Wahn namens R18B und machen die Straßen unsicher. Jeder weiß, dass es Zugereiste mit verdammt viel Kohle sind. Bestimmt sind Vladimir Petinkovic, Marina Stift, Victor Hörben, Hector Schabe, Hermann Geringer und Benito Chocque dabei. Nun heißt es handeln. Kampmann zieht den Arai auf, schwingt sich auf die Sitzbank, die MT-09 springt an, der Akrapovič kreischt auf. Er muss es schaffen. Es sind zwei Kilometer, bis der Wald endet. Es sind zirka zehn Kilometer Luftlinie, bis er in der Anarchistenstadt Zuflucht finden wird. Schafft Kampmann es? Immer näher kommt der Trupp. Um die zehn Fahrer sind es. Jetzt kann er schon die Hakenkreuzstandarten an ihren vorderen Schutzblechen als rote Punkte erkennen. Aber Kampmann winkt ab. Spätestens am Hang werden sie nicht folgen können. Es sei denn, sie schießen. Also ist Eile geboten. Noch einmal schaut er sich um, schließt das Visier, dreht auf, und die 120 PS schieben ihn mit leicht angehobenem Vorderrad auf der langgezogenen Geraden Richtung Volterra. Die Frage ist: Wird unser Held es schaffen? Bleiben Sie am Ball. In der nächsten Folge kann es passieren, dass die Geschichte weitergeht. Oder auch nicht. [Fortsetzung folgt vielleicht]

Soundtrack: Samantha Crain, A Small Death, Ramseur Records, RR:214316, 2020.