Das Taxi als Kultur- und Lebensraum

«So langsam müssen wir mal wieder raus aus diesem Land. Wir stecken fest.» Büttner hatte Trsteno Hals über Kopf verlassen. Der Rest löste sich auf. Q. ordnete alles und bezahlte das Catering, während der Dystopieradler sich auf seinen Drahtesel schwang und wieder Richtung Norden fuhr. Dieses Mal scheint es nichts geworden zu sein. Meinte auch Bröno, der seine Schergen überall hatte. Da war doch dieser unsympathische Bäckergeselle, der es nicht schaffte, freundlich zu sein, obschon hier eine ganze Reihe Mäuler zu stopfen war. Dass jedoch schon alle auf dem Weg zum Grand Hotel waren, dort wo das Internationale Jazzfestival stattfinden würde, dass sich jeder von ihnen vorgenommen hatte, einen anderen Weg zu nehmen, das entzog sich dem Zugriff von Brönos Überwachungskünstlern. Also hatte der Bäckerslümmel das Nachsehen, und alle anderen nahmen irgendein Wassertaxi, um auf die Insel zu kommen. Nur Kampmann nicht. Der fuhr im Taxi durch die Gegend und hinderte den Fahrer daran, seinem Beruf nachzugehen, denn er, Kampmann, hatte es sich in den Kopf gesetzt, nicht einzuschlafen, also redete er. Für unseren Querfeldeinartisten war das Reden ein Ganzkörperzustand. Und er machte sich jedes Medium zunutze, um sich auszudrücken. Ob das jemand hören wollte oder nicht. «Mir doch egal, Hauptsache, es rauscht.» Es gibt sogar Menschen, die schwören Stein und Bein, dass sie Kampmann mal gesehen haben wollen, wie er inmitten einer Herde von Schafen stand und sie beim Blöken dirigierte, und es hatte den Anschein, als leisteten sie ihm willig Folge und würden «singen». Das war gar nicht so lange her. Immer wieder geriet er in Verwunderung darüber, dass Menschen sich nicht vorstellen konnten, ihre Tiere eben für nicht so blöd zu halten, wie sie es sich weismachen wollten. Man kann sich die Welt auch vorstellen. «Blöde Schafe» waren nun einmal sprichwörtlich.

Der Taxifahrer war übrigens ein spannender Typ. Er hatte, in Kasachstan geboren, lange Jahre als Busfahrer gearbeitet. Das war noch zu Putins Guter Alter Zeit. (PGAZ).1 Über verschlungene Wege sind er und seine Familie in Bosnien gelandet. Und er war heute an einen Kunden geraten, der seiner welterfahrenen Schweigsamkeit plötzlich ein «Ауызыңды жап!» abtrotzte. Kampmann verstand nur Bahnhof, der Taxifahrer, Kenje Ali mit Namen, grinste und schaute ihn mit verschmitzt verengten Augenschlitzen durch den Rückspiegel an. Dann brach er in lautes Lachen aus, weil das verdutzte Antlitz des Dauerredners im Fond auf das Cover eines jeden Mad-Heftes gepasst hätte. «Du bist Deutscher, oder?» «Ja», erwiderte Kampmann. «Woran erkennt man das?» «Du hast einen Tonfall, wenn Du erzählst, der an das Jammern einer waidwunden Ziege erinnert. Du meckerst wie ein Maschinengewehr, aber gleichzeitig ist da ein kaum spürbarer, weinerlicher Unterton. Und was hast Du da eigentlich vor Dich hin gebrabbelt. Wenn das Kommunikation gewesen sein sollte, hast Du die Botschaft ziemlich gut verbergen können.» Kampmann sagte nur «Schafe» und schlief ein. [Fortsetzung folgt vielleicht]

Soundtrack: heute ohne Ton, das Geschnatter reicht.

1 An dieser Stelle wird eine Erläuterung unumgänglich: PGAZ ist eine massiv deprimierende Abkürzung und ein stehender Begriff des demokratischen Widerstands in Russland. Der Euphemismus und seine weiträumige, ja globale Verwendung sind das Resultat einer tiefseelischen Resignation, der sich in dieser Phase des Anthropozäns kein aufrecht denkendes und handelndes Wesen entziehen konnte. Lediglich Bröno und seine Schergen konnten diesem Weltzustand etwas abgewinnen. Spätestens seit 2022, hatte es sich auf dem gesamten Planeten herumgesprochen, dass das Leben keine pazifistische Puppenstube ist. Zumindest erwachten Westeuropäer trotz Srbrenica und anderer «Geschichten» in ihrer unmittelbaren Umgebung erst jetzt. Da musste also erst ein Geheimdienstler kommen, um den Reichen, also nicht den so richtig Reichen, denn die träumten von einer Kolonisierung des Mars oder von ihrer Kryostase, also eher den Wohlhabenden, denjenigen, welchen es einfach nur gut geht, also seit Generationen gut geht, abgesichert und so weiter, diesen Reichen dann mal zeigen, dass ihr Reich nicht von Dauer ist. Und im Laufe der Jahre wurde der Typ quasi unsterblich. Er eroberte ein Land nach dem anderen und zündelte an allen Ecken und Enden, weil er ein von Neid zerfressener, hässlicher Macho war, der nicht wahrhaben wollte, dass auch er nur ein Häufchen Scheiße war angesichts der Äonen, die dieses Universum schon existierte. Dieser Typ war ein solcher. Er verkörperte archetypisch den Schurken, der schon in antiken Geschichten, ob in der Bibel oder anderen Texten, herhalten musste für das Andere. Wie hier Bröno, so ist auch P. einer von denen, die nichts weiter sind als Haustiere eines imaginären Gleichgewichts der Kräfte im Kosmos: wohlgemerkt, nicht so zu verstehen, als dass es jemals eine Homöosthase ergäbe, was sich so an Rat und Unrat in der Welt befände. Diesen Ausgleich darf man nicht einmal auf dem Zeitstrahl suchen. Das ist schon ein mehrdimensionales Konstrukt. Da dellt sich einem die Raumzeit im Hirn. Und wie immer es so ist, ist es auch mit dem Typen so. Er ist und bleibt ein Despot. Dazu braucht man keine höhere Kosmologie; das war gerade nur der Faszination an solchen Dingen, deren wissenschaftliche Lagen so schwer verständlich und noch schwerer nachzurechnen sind, geschuldet. Während er also ein Märchenschloss für gemutmaßte zwei Milliarden Dollar sich gönnte, hungerten seine Bürgerinnen und Bürger. Dann überfiel er ein paar Länder, schickte seine Söldner in Krisengebiete, wo sie humanitäre Katastrophen verstärkten oder auslösten, und mit der klassischen Miene des gewählten Volksverbrechers jammerte er sich durch die dahinfantasierte Geschichte eines nicht nur falschen, sondern auch langweiligen und schlecht dramaturgisierten Drehbuchs im Namen des ominösen Rus. Tja, wer’s meint? Möchte man achselzuckend ausatmen, aber das Bösartige, Boshafte, Rücksichtslose usw. dieses Männchens wird ja leider durch nichts schmaler, weniger, geschweige denn, es hörte je auf. PGAZ ist alles, was man an negativen Empfindungen hineinstecken kann, wenn man an einen Diktator klassischen Profils denkt. Daher nutze man diese Abkürzung auch nur mit Vorsicht. Natürlich weckt sie nichts Böses. Das wäre abergläubisch und albern. Aber angesichts der zahllosen Opfer, die dieser eine Verbrecher an der Menschheit auf dem Gewissen hat, und da beginnt er so langsam Hitler und Stalin in nichts nachzustehen, und Xi packen wir mit Blick auf bestimmte terrae incognitae seines Großreichs gleich dazu, wählen wir die Abkürzung stets mit Bedacht. Aber unser Taxifahrer weiß eben, woher er kommt.