Kampmann kam übermüdet in der Stadt auf der falschen Seite des Flusses an und begab sich auf den höchsten Punkt, um die Lage einzuschätzen. Kein Mensch war auf den Straßen. Als er den steilen Weg bergan kraxelte, begegnete ihm niemand. Er marschierte weiter, bis er zu einem offenbar mittelalterlichen Turm kam, der ohne eine Burg oder ein Kloster dort stand und auf ihn wartete. Kurz vor dem Ende des Anstiegs verschnaufte er und sah Eidechsen am Rand seiner beschwerlichen Route neben sich auf einem Felsbrocken in der Sonne. Kampmann blickte auf den Mikrokosmos einer Welt, die er nur aus seiner Kindheit kannte und nur damals sehen konnte. Sicher hätte er nicht die Kraft gehabt, mal eben so mir nichts dir nichts eins dieser flinken Reptilien zu fangen, aber er stellte sich vor, dass er selbst eines dieser kleinen Tiere wäre. Für Minuten verlor er sich in diesem beigen Wechselspiel aus Licht und Schatten, in dem jeder Halm eines Krauts am Wegesrand ein riesiger urweltlicher Baum war.
Etwas aber riss ihn aus seinem sentimentalen Tagtraum. Eine Gaukelei immensen Ausmaßes? Trugbilder gegen das Gespinst seiner Fantasie? Er hatte etwas gehört, das wie ein Waldhorn geklungen hatte. Hier? Wohl kaum. Es war ja niemand da, und selbst auf den Wegen außerhalb der Stadt gab es keinen Verkehr. Jedenfalls keinen sichtbaren. Er musste weiter. Die Pflicht rief ihn. Es ging nicht anders. Über allem stand seine Suche, und er konnte es sich nicht leisten, in die Intrigen der Night&Meer GmbH hineingezogen zu werden. Dr. Halluz Valgaz hatte ihn oft genug davor gewarnt, seine Ziele nicht an diesen Player im Spiel zu vergeben. Daher hatte er diese Phantomstadt hinter sich zu lassen. Er riss sich aus seinen versandeten Tagträumen und beeilte sich, weiter bergan zu kommen. Dann endlich schritt er durch den dunklen Eingang, stapfte mit seinen schweren Stiefeln die durch Millionen von Schritten erodierten Stufen hinan und erreichte endlich, ächzend unter der sinnlosen Mühsal eines Ex-Kettenrauchers, die ersehnte Höhe. Und er schaute hinab.
Kampmann registrierte im Osten eine intakte Brücke. Sofort war er hellwach. Kein Zweifel, dort ging es weiter. Er zupfte den Sensocord aus der oberen linken Brusttasche seiner Uniform und scannte das Gebiet. Immer noch kein Kontakt zu den Satelliten. Er war in jeder Hinsicht auf sich gestellt. Hineingeplumpst in das Jahr 1943. Er musste unwillkürlich an den kleinen Adligen denken, den er etliche Wochen zuvor in der Wüste getroffen hatte, und dessen fantastische Geschichten kürzlich der Welt offenbar wurden. Dieser immens sprachbegabte französische Flieger hatte ihn ebenfalls getroffen und alles aufgeschrieben, was der kleine Kerl fantasierte. Der Pilot wiederum registrierte auf seinen Nachtflügen das ganze Dilemma und holte Büttner und Kampmann per Trystero-Alarm in seine Zeit. Und jetzt hing er hier. Abgeschnitten von den Informationen, die er brauchte, um Büttner zu finden, und auch A. St.-E., der Flieger, war verschwunden. Aber er hatte eine Brücke, seine Brücke zurück ans richtige Ufer, und so würde er sich nun wieder aufgemacht haben, um der einen, letzten, kleinen Spur umgehend zu folgen. [Fortsetzung folgt vielleicht]
Soundtrack: Sarah Jarosz: «Song Up In Her Head», Sugar Hill Records, Nashville, USA, SUG-CD-4049, 06.2009, und Eddie Vedder: «Ukulele Songs», Monkeywrench Records, Seattle, USA, B0015616-01, 07.2011.